Das neue Hamburger Fischereigesetz 2019

Hamburg hat 2019 vorgelegt und ein neues Fischereigesetz präsentiert, dass viele als deutschlandweit vorbildlich bezeichnen – auch wenn es gerade aufgrund des Entnahmefensters nicht unumstritten ist. Dabei geht es weniger um die technischen Details wie z. B. die vereinfachte Ausgabe von Fischereimarken im Angelfachhandel, die Registrierungspflicht von professionellen Angelguides oder die Anpassung der Schonzeiten an sich durch den Klimawandel verschiebende jahreszeitlich Schwankungen. Großer Aufreger war vielmehr die Einführung von Entnahmefenstern für viele Fischarten, um nicht nur besonders kleine (und somit junge), sondern auch besonders große (und dementsprechend ältere) Tiere vor der Bratpfanne zu schützen. Entnommen werden dürfen nun nur noch Fische, neben einem Mindest- auch ein Maximalmaß einhalten. Bei Zander, Hecht und Aal liegt dieses Fenster bei 45-75cm.

Die hamburgische Novelle des Fischereigesetzes hat eine Diskussion in die (angel-)öffentliche Wahrnehmung gerückt, die bisher eher in der fischereibiologischen Forschung geführt wurde, nämlich die Frage nach dem Sinn und Unsinn von Entnahmefenstern.

Sind Entnahmefenster zu statisch?

Kritiker argumentieren unter anderem, dass Entnahmefenster meist statisch seien, um den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht zu werden: Kein Bestand gleicht dem anderen und jeder Bestand benötigt individuelle Hegerichtlinien. Regionale Unterschiede spielen genauso eine Rolle, wie Typus und Struktur des Gewässers. Da ist sicherlich etwas dran, wenn man aber das Entnahmefenster nicht aus anderen Gründen ablehnt, sollte doch zumindest einmal darüber nachgedacht werden, was individuelle Entnahmefenster eigentlich konkret bedeuten.

Werden für jedes Gewässer eigenständige Entnahmefenster festgelegt, bedeutet dies neben dem immensen Aufwand doch letztlich, dass sich alle Entnahmefenster auf eine mittlere Spanne einpendeln werden. Die eine Region legt es auf 40-80 cm fest, eine andere auf 45-75 cm und eine auf 40-70 cm – es wird aber sicher keine Entnahmefenster von 10-30cm oder von 78-100 cm geben. Letztlich sprechen wir dann nur noch von einigen Zentimetern am unteren oder am oberen Rand. Da wird man sich doch einigen können, oder?

Die Bedeutung der Größe für die Laichproduktion

Die Befürworter eine Entnahmefensters argumentieren, dass durch ein Entnahmefenster auch die besonders produktiven adulten Fische geschützt werden, die für einen Bestand besonders wichtig sind. Es gibt bei vielen Fischen keinen linearen Zusammenhang zwischen Größe und Laichproduktion, vielmehr können beispielsweise Zander in der Laichzeit 150.000-250.000 Eier je Kilogramm Körpergewicht ablegen. Dabei nehmen sie ab einem Alter von ca. 3 Jahren und einer Länge von 45 cm exponentiell mehr Masse zu, als sie in die Länge wachsen.

Rechenbeispiel: Ein 3 Jahre Alter Zander wiegt bei gut 45 cm rund ein Kilogramm und legt mithin die besagten 150.000-250.000 Eier ab. Ein exakt doppelt so langer (Ausnahme-)Zander von 90 cm wiegt bereits rund 7 kg und produziert entsprechend 1.050.000-1.750.000 Eier! Keine Frage, große Fische sind allein aufgrund ihrer Laichaktivität elementar für einen sich selbst erhaltenden Bestand, selbst bei stark befischten Gewässern. Umgekehrt macht aber auch nur für sich in den Gewässern überhaupt fortpflanzende Fischarten ein Entnahmefenster Sinn. Folgerichtig gibt es in Hamburg kein Entnahmefenster für Karpfen, da die Populationen ausschließlich aus Besatzmaßnahmen stammen.

Schläue schützt vor der Bratpfanne

Dazu kommt die triviale Erkenntnis, dass größere Fische aus gutem Grund so groß geworden sind: Sie sind meist einfach schlauer als die anderen, die in der Bratpfanne landen, und gehen merkwürdigen Ködern aus dem Weg. Einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Angler selten Großfische ans Band bekommen, ist gar nicht mal so sehr ihre Seltenheit, sondern vielmehr ihre Schläue, die sie aber nicht nur gegenüber uns Anglern einsetzen, sondern gegen jeden Konkurrenten oder Fressfeind: Einerseits müssen diese Fische Fähigkeiten entwickelt haben, durch die sie einfach mehr oder bessere Beute machen oder Nahrungsquellen finden, als andere. Andererseits gehen sie aber offenbar Ärger aus dem Weg und landen schon als kleine Fischchen nicht im Magen ihrer Artgenossen oder anderer Räuber.

Entnahmefenster und Tierschutz

Ein schwerwiegendes Argument der Kritiker von Entnahmefenstern, dass Entnahmefenster nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar seien – hier wird gern eine Analogie zum Catch & Release von maßigen „Trophaenfischen“ hergestellt. Es soll Fälle gegeben haben, in denen in Bundesländern, in denen kein Entnahmefenster gesetzlich vorgegeben ist, Fischereibehörden Pachtverlängerungen an die Streichung von Entnahmefenstern in Gewässerordnungen geknüpft haben. Es wird argumentiert, dass gesetzlich – bis auf in Hamburg – nun einmal Mindestmaße vorgegeben sind, nicht jedoch Entnahmefenster. Interessanterweise wird aber einer Erhöhung dieses Mindestmaßes in den Gewässerordnungen kein Widerstand entgegengesetzt. Ein Entnahmefenster wirkt letztlich aber vergleichbar wie ein höheres Mindestmaß.

Die Frage ist, warum ein Entnahmefenster nicht mit dem Deutschen Tierschutzgesetz vereinbar sein könnte. Üblicherweise wird hier auf dem Fisch zugefügte Qualen durch Drill und Landung hingewiesen, was laut Tierschutzgesetz tatsächlich (angeblich) unzulässig wäre. Allerdings, und hier muss der Gesetzestext dann doch einmal genau gelesen werden, heißt es dort, dass man ohne vernünftigen Grund keinem Tier erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen oder es ohne vernünftigen Grund töten darf. Damit sind sicher alle einigermaßen vernunftbegabten und mitfühlenden Angler einverstanden. Aber das Tierschutzgesetz verbietet eben nicht per se das Zurücksetzen von gefangenen Fischen. Es verbietet vielmehr nach allgemeiner Rechtsauffassung das Angeln ohne Verwertungsabsicht, also die reine Spaßangelei mit ständigem Catch & Release wie hier in Hamburg typischerweise beim Rapfenangeln, denn den Fisch will eigentlich keiner essen. Wer ohne die Absicht, den gefangenen Fisch auch zu verzehren, angelt, handelt rechtswidrig. Wer aber einen Fisch, der außerhalb des Entnahmefensters liegt, wieder zurücksetzt, eben nicht – wie übrigens auch beim Zurücksetzen von unerwünschten Beifang, natürlich nach den üblichen waidgerechten Regeln, also unmittelbar und schonend.

Entnahmefenster und das Tierwohl

Fraglich ist im Hinblick auf das Tierwohl (nicht jedoch den Tierschutz) die Frage, ob ein großer Fisch außerhalb des Entnahmefensters nach dem Zurücksetzen überlebensfähig ist. Prof. Robert Arlinghaus hat mit seinem fischereibiologischen Institut eine Vielzahl von Studien analysiert und teilweise auch selbst durchgeführt.

Die gute Nachricht ist: Wenn der Fisch waidgerecht und schonend behandelt wird, ist die sog. Haksterblichkeit relativ gering. Die schlechte Nachricht ist: Die Sterblichkeitsrate schwankt immens in Abhängigkeit von Fischart und Umweltbedingungen. So scheinen Cypriniden (Karpfenartige) sowie Hechte relativ robust und stresstolerant zu sein und bei vernünftiger und sorgsamer Behandlung beim Abhaken und Zurücksetzen nur eine geringe Sterblichkeitsrate aufzuweisen.

Anders bei Barschartigen, zu denen auch Zander gehören. Diese Fische reagieren offenbar insbesondere dann sehr sensibel auf das Zurücksetzen, wenn bestimmte Faktoren hinzukommen. Als Zanderangler kennen wir die relativ kurze Drillphase, bis der Zander „weiß zeigt“, also in der Endphase des kurzen Drills seinen Bauch zeigt, was ein Erschöpfungszeichen ist. Dazu kommt, dass gerade in Seen und hier im Hamburger Hafen Zander oft aus Gewässertiefen von 10 Metern oder mehr „hochgepumpt“ werden. Diese Fische haben kaum eine Chance zu überleben („Trommelsucht“).

Jeder verantwortungsbewusste Angler sollte sich ohnehin waidgerecht verhalten und um diese Phänomene wissen. Für das Entnahmefenster relevant ist aber die Frage, ob kleine Fische (untere Grenze bzw. unterhalb des Mindestmaßes) toleranter sind, als große Fische (oberhalb des Höchstmaßes). Leider sind dazu keine Studien zu finden und diese Frage lässt sich nicht schlüssig beantworten. Was aber nachgewiesen wurde ist, dass sich oft Verhalten und Physiologie der Fische nach dem Zurücksetzen verändern, interessanterweise oft im Hinblick auf die Reproduktionsleistung. Dabei konnte allerdings offenbar aber (noch) nicht untersucht werden, ob und inwiefern sich diese Beeiträchtigung im Zeitablauf wieder zurückbildet. Wenn sich aber bestätigt, dass der exponentielle Laichvorteil großer Fische durch das Zurücksetzen konterkariert wird, darf man durchaus die Sinnhaftigkeit eines Entnahmefensters in Frage stellen.

Aber wie heißt es so schön? „Nichts Genaues weiß man nicht“. Die Forschung in diesem konkreten Feld ist sehr schwierig, denn sie bedingt eine langfristige Begleitung jedes einzelnen gefangenen Fisches und das bei einer ausreichenden Stückzahl, um überhaupt eine valide statistische Aussage treffen zu können.

Fazit

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass gerade die besonders vehement vorgebrachten rechtlichen Bedenken kaum einschlägig sind, wenn es um die Beurteilung des Entnahmefensters geht. Unstrittig ist dagegen die z. T. erhebliche Bedeutung von großen Fischen für die Bestandserhaltung, primär aufgrund ihrer Laichproduktivität, aber auch bestimmte Eigenschaften wir Vorsicht und „Überlebensgene“ werden von diesen Fischen besonders vererbt.

Was in der Betrachtung der Sinnhaftigkeit von Entnahmefenstern aber oft weniger thematisiert wird, ist die Auswirkung des Zurücksetzens auf die Physiologie des Fisches. Bei der Erforschung der Auswirkugen des Catch & Release spielt die Haksterblichkeit eine große Rolle, die, wenn auch nicht durchgängig, bei Weitem keine so große Bedeutung hat, wie von Kritikern gern angeführt.

Im Hinblick auf das Entnahmefenster, das ja vordringlich Hegemaßnahme mit der klaren Aufgabe der Bestandsschonung ist, wird aber oft gar nicht thematisiert, wie sich das Zurücksetzen auf die Reproduktionsleistung auswirkt – und genau um diesen Faktor geht es beim Entnahmefenster ja vordringlich. Auch wenn die Auswirkungen des Zurücksetzens auf die Reproduktionsfähigkeit wohl noch nicht abschließend erforscht wurde, scheinen Studien darauf hinzuweisen, dass es durchaus einen Zusammenhang gibt. Ob und wie schwer dieses Argument letztlich bei der Gesamtbeurteilung eines Entnahmefensters wiegt, kann nicht abschließend beurteilt werden. Aber klar ist, dass es trotz des Aussortierens von offensichtlich unsinnigen Argumenten immer noch einige Aspekte gibt, die gegen ein solches sprechen oder zumindest das Pendel etwas in die andere Richtung ausschlagen lassen.